VEXAS- Syndrom

11.11.2020

Medizin

VEXAS-Syndrom: Neue autoinflammatorische Erkrankung durch Genomanalyse entdeckt

Dienstag, 10. November 2020

/Monika Wisniewska, stock.adobe.com

Bethesda/Maryland – Komplexe Krankheitsbilder lassen sich mittels einer Genomanalyse manchmal auf Defekte in einzelnen Genen zurückführen. US-Mediziner beschreiben im New England Journal of Medicine (2020; DOI: 10.1056/NEJMoa2026834) eine neue auto­inflammatorische Erkrankung, die offenbar durch somatische Mutationen nach der Geburt entsteht. Sie war deshalb nur in einzelnen Zelllinien im Knochenmark vorhanden, was allerdings weitreichende Folgen für die Patienten hatte.

Die Entdeckung genetischer Syndrome beruhten früher auf der sorgfältigen Beobachtung der einzelnen Krankheitszeichen und einer oft genialen Eingebung einzelner Mediziner, denen es gelang, die Symptome auf eine gemeinsame Ursache zurückzuführen. Heute wird diese Aufgabe zunehmend den Sequenzierautomaten überlassen, die stückweise das gesamte Erbgut oder wenigstens den Proteinen-kodierenden Anteil des Exoms entschlüs­seln und dann nach möglichen Abweichungen suchen.

Am National Human Genome Research Institute (NHGRI) in Bethesda/Maryland wurde in den letzten Jahren das Exom von 2.560 Patienten sequenziert. Diese litten teilweise unter rezidivierenden Fieberattacken, die mit erhöhten Entzündungsreaktionen im Körper einhergingen. Bei anderen Patienten lagen andere atypische Symptome vor, für die die Ärzte keine Ursache ermitteln konnten.

Das Team um Daniel Kastner hatte offenbar bereits den Verdacht, dass einige der Erkran­kungen durch Störungen der Ubiquitinierung hervorgerufen wurden. Bei der Ubiquiti­nierung werden „verbrauchte“ Proteine einer Zelle mit einer Markierung versehen, die sie für den Abbau in den Lysosomen freigibt, den Recyclingorganellen der Zelle. Störungen in diesem Bereich führen zu einem „Müllproblem“, an denen die Zellen schließlich zugrunde gehen.

Die Ubiquitinierung ist ein komplexer Vorgang, an dem etwa 800 verschiedene Gene beteiligt sind. Darunter ist auch das Gen UBA1. Es kodiert Teile des Enzyms E1, das am Anfang der Ubiquitinierung steht. Die Forscher fanden nun 3 Patienten, bei denen dieselbe Mutation im Gen UBA1 vorlag, was bereits auffällig ist.

Eine Datenbankanalyse ergab, dass diese Mutation bisher noch nie bei gesunden Menschen gefunden wurde, was dafür spricht, dass eine Veränderung hier zu einer Erkran­kung führt.

Ein Blick auf die Krankenakten zeigte, dass alle 3 Patienten das gleiche Krankheitsbild aufwiesen. Beteiligt waren die Lungen (pulmonale Infiltrate und Pleuraergüsse im CT, und in den Biopsien neutrophile Entzündungen in den Alveolen), die Blutgefäße (Vaskulitis mittelgroßer Bronchialarterien), die Haut (rötliche Knoten, denen eine neutro­phile Dermatose zugrunde lag), der Knorpel (Chondritis mit sichtbaren Veränderungen an Ohren und Nasen) und das Knochenmark (mit merkwürdigen Vakuolen im Ausstrich).

Diese Kombination von Merkmalen bei 3 unter 2.560 Patienten wäre den Ärzten ohne die Genomanalyse vermutlich nicht aufgefallen. So hatte die Genomanalyse zur Entdeckung eines neuen Syndroms geführt, das die Forscher als VEXAS-Syndrom (Vakuolem, E1 Enzym, X-chromosomal, Autoinflammatorisch, Somatisch) bezeichnen.

X-chromosomal ist die Störung, weil sich das Gen UBA1 auf dem X-Chromosom befindet. Es erkranken deshalb nur Männer. Die Bezeichnung somatisch bezieht sich darauf, dass die Mutation nicht in allen Zellen des Körpers vorkommt. Betroffen ist vor allem das blutbildende Gewebe im Knochenmark. Dort werden Granulozyten, Monozyten, Erythrozyten und Thrombozyten gebildet.

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Die T- und B-Lymphozyten, die in den Lymphknoten ausreifen, waren nicht betroffen (was erklärt, warum keine Störungen des adaptiven Immunsystems vorlagen). Genetisch betrach­tet liegt damit ein Mosaik oder eine Chimäre vor. Dies bedeutet, dass die auslösende Mutation erst nach der Teilung der Eizellen aufgetreten sein kann (sonst müsste die Mutation in allen Zellen vorhanden sein).

Interessant ist nun, dass die gleichen Mutationen noch bei 15 weiteren Patienten des Clinical Centers der National Institutes of Health gefunden wurden, das sich auf die Behandlung ungeklärter Erkrankungen spezialisiert hat. Sieben weitere Patienten wurden in London und Leeds entdeckt. Das VEXAS-Syndrom könnte deshalb häufiger auftreten und weltweit verbreitet sein.

Das VEXAS-Syndrom tritt vor allem im späteren Erwachsenenalter auf. Die 25 Patienten waren durchschnittlich 64 Jahre alt, 10 waren bei der Diagnose bereits verstorben. Alle Patienten wurden mit Steroiden behandelt. © rme/aerzteblatt.de