Amyotrophe Lateralsklerose: Wirkstoffkombination verlangsamt klinischen Verlauf

24.09.2020

Medizin

Amyotrophe Lateralsklerose: Wirkstoffkombination verlangsamt klinischen Verlauf

Mittwoch, 23. September 2020

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Boston – Eine Kombination aus Natrium-Phenylbutyrat und Taurursodiol, die den Unter­gang der Motoneurone aufhalten soll, hat in einer Phase-2/3-Studie den Verlust der funktionellen Fähigkeiten von Patienten mit amyotropher Lateralsklerose verlangsamt.

Eine Verlängerung der Überlebenszeit war nach den jetzt im New England Journal of Medicine (2020; DOI: 10.1056/NEJMoa1916945) publizierten Ergebnissen nach 24 Wochen Behandlung nicht nachweisbar.

Die fortschreitende Degeneration der Motoneurone im motorischen Cortex und im Rücken­mark führt bei der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) in der Regel innerhalb von 2 bis 3 Jahren nach den ersten Symptomen zum Tod. Eine Behandlung, die den Untergang verhindern kann, gibt es derzeit nicht.

Das Neuroprotektivum Riluzol kann jedoch die Überlebenszeit um einige Monate verlängern. Ein zweiter Wirkstoff, Edaravon, der in den USA, nicht aber in Deutschland, zugelassen ist, erzielt nur bei bestimmten Patienten eine Wirkung.

Als drittes Mittel könnte dort „AMX0035“ vor der Einführung stehen, wenn die FDA die jetzt vorgestellten Ergebnisse der CENTAUR-Studie als ausreichend betrachtet.

An der Studie hatten 137 Patienten mit ALS teilgenommen, die zu 77 % bereits mit Riluzol oder Edaravon (oder beiden Medikamenten) behandelt worden waren. 2/3 der Patienten wurden auf eine (zusätzliche) Behandlung mit „AMX0035“ behandelt, die anderen waren auf einen Placeboarm randomisiert worden.

Eine Dosis „AMX0035“ enthält 3 Gramm Natrium-Phenylbutyrat und 1 Gramm Taurur­sodiol, die die Patienten in den ersten 3 Wochen einmal und danach 2 Mal täglich einnahmen. Phenylbutyrat ist eine kurzkettige Fettsäure. Taurursodiol gehört zu den Gallensäuren.

Die Mittel sollen das endoplasmatische Retikulum der Motoneurone schützen und die Funktion der Mitochondrien verbessern. Beide Mittel haben in experimentellen Modellen der Erkrankung eine Wirkung erzielt und sich in klinischen Pilotstudien als sicher erwiesen.

In der CENTAUR-Studie wurde erstmals untersucht, ob die Kombination sich günstig auf den Verlauf der Erkrankung auswirkt. Der primäre Endpunkt war die „Amyotrophic Lateral Sclerosis Functional Rating Scale–Revised“. Der Fragebogen erfasst die täglichen Fähigkeiten der Patienten wie Gehen, eigenständiges Anziehen, eigenständiges Essen, Sprechen und Atmen. Das Ergebnis wird mit 48 Punkten angegeben, wobei ein höherer Score bessere Alltagsfähigkeiten des Patienten anzeigt.

Zu Beginn der Studie hatten die Teilnehmer noch 36,0 Punkte, also relativ geringe Einschränkungen. Während der 24-wöchigen Studie kam es in der Placebogruppe zu einer Verschlechterung um 1,66 Punkte pro Monat, was ein relativ schnelles Fortschrei­ten der ALS anzeigt (trotz der Behandlung mit Riluzol oder Edaravon).

In der Gruppe, die mit „AMX0035“ behandelt wurde, verloren die Patienten im Durch­schnitt 1,24 Punkte pro Monat. Die Behandlung war also weit davon entfernt, das Fortschreiten der Erkrankung aufhalten zu können.

Der Unterschied von 0,42 Punkten war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,03 bis 0,81 Punkten jedoch nicht nur statistisch signifikant. Sabrina Paganoni vom Massachu­setts General Hospital (MGH) stuft ihn auch als klinisch relevant ein. Die Neurologin spricht in der Pressemitteilung der Klinik von einem „Meilenstein im Kampf gegen die ALS“.

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Ob die US-Arzneimittelagentur FDA dies ebenso sieht, bleibt abzuwarten. Ein wichtiges Ziel, die Überlebenszeit der Patienten zu verlängern, war nach 24 Wochen (noch?) nicht erkennbar. In keinem der sekundären Endpunkte wie der Abnahmerate der isometrischen Muskelkraft und in den Atemfunktionen, der Veränderung des pNF-H-Spiegels (einem Biomarker für das Absterben der Neurone) und dem zusammengesetzten Endpunkt aus Tod, Tracheotomie, permanenter Beatmung und Kranken­haus­auf­enthalt konnte keine signifikante Verbesserung gezeigt werden, auch wenn der Trend jeweils in die richtige Richtung ging.

Ein Pluspunkt könnte die Verträglichkeit sein. Die Nebenwirkungen sind vor allem gastro­intestinal (Diarrhö, Nausea, vermehrter Speichelfluss und abdominales Unwohlsein). Sie legten sich häufig nach den ersten Behandlungswochen und gefährdeten die Patienten nicht ernsthaft. Es kam allerdings häufiger zu einem Therapieabbruch (19 % versus 8 in der Placebogruppe), der in erster Linie auf die Diarrhö zurückzuführen war.

Die Wirksamkeit von Tauroursodeoxycholsäure (TUDCA) als Monotherapie wird derzeit in einer europäischen Studie (mit deutscher Beteiligung) an 440 Patienten mit ALS untersucht. Ergebnisse der TUDCA-ALS-Studie sollen im Juni 2021 vorliegen. © rme/aerzteblatt.de

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