Duchenne-Muskel­dystrophie: Gentherapie mit Mikro-Dystrophin zeigt Wirkung

07.07.2020

Medizin

Duchenne-Muskel­dystrophie: Gentherapie mit Mikro-Dystrophin zeigt Wirkung

Montag, 6. Juli 2020

/Gernot Krautberger, stock.adobe.com

Columbus/Ohio – Eine neuartige Behandlung, die eine Minimalversion des Dystrophin-Gens, dem größten Gen im menschlichen Erbgut, in die Muskelzellen schleust, hat sich in einer ersten klinischen Studie an 4 Patienten mit Muskeldystrophie vom Duchenne-Typ als sicher erwiesen.

Laut dem Bericht in JAMA Neurology (2020; DOI: 10.1001/jamaneurol.2020.1484) wurde das Mikro-Dystrophin von mehr als 80 % der Muskelzellen gebildet, was sich nach vorsichtiger erster Einschätzung günstig auf den Verlauf der Erkrankung ausgewirkt haben könnte.

Ursache der Duchenne-Muskeldystrophie, die weltweit bei einem von 3.500 bis 5.000 Männern auftritt, sind Mutationen im Dystrophin-Gen. Bei einer Größe von 2,5 Millionen Basenpaaren (oder 0,08 % des gesamten Erbguts) schien eine Gentherapie lange ein aussichtsloses Unternehmen, beträgt doch die Transport-Kapazität von Adeno-asso­ziierten Viren (AAV), der üblichen Gen-Fähre, gerade einmal 4.700 Basenpaare.

Dies änderte sich mit der Entdeckung eines Patienten, der im Alter von 61 Jahren kaum Zeichen einer Muskeldystrophie aufwies, obwohl aufgrund einer Deletion 46 % seines Dystrophin-Gens fehlten (Nature 1990; DOI: 10.1038/343180a0). Tierexperimentelle Studien zeigten daraufhin, dass verkürzte Versionen des Dystrophin-Gens den Muskelschwund deutlich abschwächen könnten.

Eine US-Firma hat ein Mikro-Dystrophin-Gen entwickelt, das gerade noch in ein AAV passt. Nachdem sich die Behandlung an Mäusen als aussichtsreich erwiesen hatte, wurden am Nationwide Childrens’s Hospital in Columbus/Ohio in einer offenen Studie die ersten 4 Patienten behandelt. Die Kinder im Alter von 4 bis 7 Jahren waren bei der Behandlung noch gehfähig. Sie erhielten eine einmalige Infusion mit 2,0 mal 10 hoch 14 AAV, die jeweils mit einer Kopie des Mikro-Dystrophin-Gens SRP-9001 beladen waren.

Das Ziel der Phase-1-Studie war die Sicherheit der Behandlung. Wie Jerry Mendell und Mitarbeiter berichten, sind keine Komplikationen aufgetreten, die den Einsatz der Gen­the­rapie infrage stellen würden. Am häufigsten kam es nach der Infusion zu Erbrech­en (9 von 18 Ereignissen). Bei 3 Patienten kam es vorübergehend zu einem Anstieg der Gamma-Glutamyltransferase. Nach der Gabe von Kortikosteroiden normalisierte sich der Leberwert.

Die Muskelproben, die 12 Wochen nach der Behandlung aus dem Wadenmuskel (M. gastrocnemius) entnommen wurden, zeigten, dass die Fähren ihre Fracht am gewünsch­ten Ort abgeladen hatten. Im Mittel 81,2 % der Muskelfasern hatten das Mikro-Dystrophin-Protein gebildet mit einer mittleren Intensität von 96 % im Sarkolemma, wo Dystrophin eine wichtige Stützfunktion hat.

Die klinischen Auswirkungen der Behandlung lassen sich derzeit noch nicht sicher beurteilen. Bei allen 4 Kindern ist es laut Mendell jedoch zu einer funktionellen Verbes­serung der NSAA-Werte („North Star Ambulatory Assessment") um 2 bis 7 Punkte gekom­men (bei einem maximalen Wert von 34 Punkten). Bei allen Teilnehmern kam es auch zu einer Verringerung der Kreatinkinase, einem Blutmarker für die Zerstörung von Muskelzellen.

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Zur Duchenne-Muskeldystrophie kommt es, weil die Muskelzellen ohne Dystrophin unter der alltäglichen Belastung mit der Zeit zusammenbrechen. Die zerstörten Muskelzellen werden dann durch Bindegewebszellen ersetzt, was zu einer progressiven Muskel­schwäche führt, die bei den Patienten früher im Alter von 9 bis 14 Jahren zur Gehun­fähigkeit und später zum Tod führte.

Eine Kortisonbehandlung, die zusätzliche Schäden durch Entzündungsreaktionen vermeidet, kann die Gehfähigkeit um einige Jahre verlängern, allerdings zum Preis von Knochenbrüchen, Infektionen und gastrointestinalen Blutungen.

Bei einigen Patienten kann die Muskeldystrophie inzwischen durch die Behandlung mit einem Antisense-Medikament abgeschwächt werden. Das Mittel verhindert die Ablesung eines Genabschnitts („Exon-Skipping“), was zur Produktion eines verkürzten, aber stabilen Dystrophins führt.

Diese Behandlung ist jedoch nur bei bestimmten Mutationen möglich, so dass weiter Bedarf für eine zusätzliche Behandlung besteht. Ob eine Gentherapie mit einem Mikro-Dystrophin diese Lücke füllen kann, lässt der Hersteller derzeit in einer randomisierten Phase-2-Studie an 2 US-Zentren prüfen.

Erste Ergebnisse könnten laut Hersteller Anfang 2021 vorliegen. Bei einem günstigen Ausgang dürfte der Hersteller gute Chancen auf eine beschleunigte Zulassung haben. © rme/aerzteblatt.de