Zolgensma-Härtefall­programm: Begrenzung auf dringliche Fälle vorgeschlagen

11.02.2020

Politik

Zolgensma-Härtefall­programm: Begrenzung auf dringliche Fälle vorgeschlagen

Montag, 10. Februar 2020

/picture alliance

Berlin – Das Vorgehen von Avexis (Novartis) im Rahmen eines globalen Härtefallpro­gramms die Zolgensma-Behandlung von Patienten mit 5q-Spinaler Muskelatrophie (SMA) auszulosen, stößt weiter auf Kri­tik. Die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke (DGM) und die Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP) schlagen nun stattdessen vor, das Härte­fallpro­gramm auf dringliche Fälle zu begren­zen.

Das Paul-Ehrlich-Insti­tut (PEI), Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arznei­mittel, hatte das Härtefallprogramm für Zolgensma am 3. Februar abgesegnet. Novartis will da­durch weltweit insgesamt 100 Kin­der mit SMA, die bestimmte An­trags­kriterien er­füllen, per Zufall – im zweiwöchentlichen Rhythmus – für eine Behandlung mit der rund 1,9 Millionen Euro teu­ren Einmalspritze auswählen. Sie sollen das Medikament kostenlos noch vor der Zu­lassung erhalten. Die Zulassung in der Europäischen Union (EU) wird für Mitte des Jahres er­wartet.

Man lehne die Losvariante des Zolgensma-Härtefallprogramms „aus ethi­schen Grün­den“ ab, schreiben DGM und GNP in einem Brief an Novartis, der dem Deutschen Ärzte­blatt vorliegt. Man sei „überzeugt, dass sich die Vergabe des Medikaments bei be­grenzten Res­sourcen an medizinischen Kriterien der Dringlichkeit orientieren muss und nicht durch ein Zufallsverfahren entschieden werden darf“, heißt es.

DGM und GNP erläutern weiter, dass die Vergabe eines nicht zugelassenen Medikaments im Rahmen eines Härtefallprogramms primär an diejenigen Betroffenen erfolgen sollte, „für die keine Standardtherapie zur Verfügung steht oder bei denen die Standardtherapie nicht wirksam ist“.

Die beiden Fachgesellschaften gehen dem Brief zufolge von einem kleinen Patienten­kreis aus, für den Novartis die Therapie kostenfrei bereitstellen solle. Zugleich erklären sich DGM und GNP bereit, in einer Kommission von neuromus­kulären Experten, Patientenver­tretern und unabhängigen Ethikern zu prüfen, bei welchen Patienten die Kriterien für ei­ne Therapie mit Zolgensma vorliegen.

Das vom Schweizer Hersteller Novartis vertriebene Zolgensma verfolgt einen neuen gentherapeutischen Ansatz. Es handelt sich dabei um einen in nicht replizierenden Adenovirus-Assozierter-Vektor (AAV9) mit guter ZNS-Gängigkeit, der ein voll-funktionales humanes SMN1-Gen transduziert. Aktuell liegen Erkenntnisse über eine stabile Langzeitwirkung über mindestens vier Jahre vor. Ob die einmalige Gabe des Mittels zu einer Heilung führt, ist daher nicht bekannt. Unbehandelt führt die Muskeldegene­ration häufig in wenigen Jahren zum Tod. Das Medikament ist bis­lang nur in den USA zugelassen. Das europäische Zulassungsverfahren läuft.

Falls Novartis nicht ge­­nügend Dosen bereistellen könne, um alle Patienten zu behandeln, werde die Kommission sich auch der Aufgabe stellen, die Prioritäten in der Behandlung der Patienten festzulegen. Die Behandlungszentren in Deutschland würden sicherstellen, dass die zugeteilten Therapien dann auch zeitnah durchgeführt werden könnten, schrei­ben DGM und GNP.

Novartis hatte bereits erklärt, dass nicht mehr als 100 zusätzliche Dosen produziert wer­den könnten. Man habe die Dosen, die Novartis im Rahmen des globalen Härtefallpro­gramms zur Verfügung stelle, „unter Berücksichtigung des Versorgungsauftrags in den USA und in Erwartung weiterer Zulassungen, so auch in Europa kalkuliert“, sagte eine Sprecherin des Unternehmens dem Deutschen Ärzteblatt auf Anfrage.

Man gehe zugleich davon aus, mit der Zulassung die zu erwartende Nachfrage ohne Ein­schränkungen bedienen zu können. Die Novartis-Sprecherin bezeichnete die Situation als „ein Dilemma“. „Wir haben einfach nicht so viele Dosen zur Verfügung wie wir gerne hätten“, sagte sie. Bei aller Kritik an diesem Ver­fah­ren mangele es bislang an praktikablen Alternati­ven. Bei der Erstellung des Programmes habe man sich von einem unabhängi­gen Ethikbeirat beraten lassen. © may/aerzteblatt.de