Bessere Versorgung von Beatmungspatienten und leichterer Zugang zur medizinischen Reha geplant
Bessere Versorgung von Beatmungspatienten und leichterer Zugang zur medizinischen Reha geplant
Dienstag, 13. August 2019
/dpa
Berlin – Zugang und Leistungen der medizinischen Rehabilitation sollen erleichtert, die Qualitätsanforderungen an die außerklinische Intensivpflege sollen deutlich erhöht werden. Beides sieht ein Referentenentwurf eines Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetzes (RISG) aus dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) vor, der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) hatte zuerst berichtet.
In dem Entwurf aus dem BMG heißt es, insbesondere bei der ambulanten Versorgung von Beatmungspatienten müsse von einer Fehlversorgung ausgegangen werden. Das gelte auch für das Potenzial zur Beatmungsentwöhnung. Zudem bestünden „erhebliche Unterschiede in der Vergütung“ von Leistungen der außerklinischen Intensivpflege im ambulanten und stationären Bereich. Dies führe zu Fehlanreizen in der Leistungserbringung und zu Missbrauchsmöglichkeiten.
Folgen seien hohe Kosten für die Versichertengemeinschaft und Einbußen bei der Lebensqualität der Betroffenen. Durch Verbesserungen der Qualität in der außerklinischen Intensivpflege verbunden mit einer regelhaften Leistungserbringung in vollstationären Pflegeeinrichtungen oder in speziellen Intensivpflege-Wohneinheiten könne die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) jährlich mittlere dreistellige Millionenbeträge einsparen, schätzt das Ministerium. Demgegenüber stünden Mehrausgaben im mittleren zweistelligen Millionenbereich.
Der Gesetzentwurf sieht beispielsweise vor, dass die außerklinische Intensivpflege mit Beatmung in den eigenen vier Wänden nur noch die absolute Ausnahme sein darf. Bis zum 18. Lebensjahr soll sie die Regel bleiben. „Die Leistungen der außerklinischen Intensivpflege werden künftig regelhaft in vollstationären Pflegeeinrichtungen (...) oder in speziellen Intensivpflege-Wohneinheiten, die strengen Qualitätsanforderungen unterliegen, erbracht“, heißt es im Entwurf aus dem Ministerium.
Höhere Anforderungen an Pflege-WGs
Die Qualitätsanforderungen sollen deutlich erhöht werden. Leistungen der außerklinischen Intensivpflege dürfen dem Entwurf zufolge künftig nur von Leistungserbringern erbracht werden, die besondere Anforderungen erfüllen. Dazu gehören etwa der Abschluss von Kooperationsvereinbarungen mit ärztlichen und weiteren nichtärztlichen Leistungserbringern und die Durchführung eines internen Qualitätsmanagements.
Über die Leistungen der außerklinischen Intensivpflege sollen Krankenkassen und Leistungserbringer dem Entwurf zufolge künftig auf Bundesebene Rahmenempfehlungen abschließen. „Diese müssen zu verschiedenen gesetzlich festgelegten Qualitätskriterien (beispielsweise personelle Ausstattung der Leistungserbringung) Regelungen treffen“, heißt es.
Mehr Geld für Beatmungsentwöhnung
Krankenhäuser sollen darüber hinaus künftig im Rahmen des Entlassmanagements eine besondere ärztliche Anschlussbehandlung im Wege der stationären Weiterbehandlung durch ein anderes Krankenhaus veranlassen können. Für die längerfristige stationäre Beatmungsentwöhnung soll die Finanzierungsgrundlage dafür durch Ermöglichung eines krankenhausindividuellen Zusatzentgelts verbessert werden.
In den Verträgen über Krankenhausbehandlung auf Landesebene sei außerdem als „zwin-
gender Bestandteil“ zu vereinbaren, dass vor der Verlegung oder Entlassung von Beat-
mungspatienten eine qualifizierte fachärztliche Feststellung des Beatmungsstatus erfolgt, damit Patienten mit Entwöhnungspotenzial identifiziert werden könnten, heißt es im Entwurf weiter. Krankenhäuser, die keine Feststellung des Beatmungsstatus vornehmen, oder die trotz bestehendem Entwöhnungspotenzial von der maschinellen Beatmung keine Anschlussbehandlung veranlassen, müssen mit Abschlägen rechnen.
Gleichzeitig sollen die Eigenanteile für GKV-Versicherte bei einer Unterbringung in einer stationären Spezialpflegeeinrichtung von bis zu 3.000 Euro im Monat auf maximal 280 Euro gesenkt werden. Patienten, die langfristig beatmet werden müssten, sollten „bestmöglich versorgt werden“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dem RND. „Und es soll alles getan werden, um sie so schnell wie möglich von einer künstlichen Beatmung zu entwöhnen“, sagte der Minister.
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Die sehr anspruchsvolle Intensivpflege von Beatmungspatienten ist meist eine 24-Stunden-Betreuung. Monatlich kostet das die Krankenkassen etwa 20.000 Euro pro Patient. In Pflege-WGs werden derzeit sogar mehrere Patienten gleichzeitig versorgt, oft betreut von nicht ausreichend qualifizierten Pflegekräften.
Erst im Mai hatte die Polizei einen großangelegten Abrechnungsbetrug von Pflegediensten bei der Betreuung von Beatmungspatienten aufgedeckt. Die Polizei ging davon aus, dass spätestens seit 2013 Menschen vor allem aus Osteuropa als Intensivpfleger eingesetzt wurden, obwohl sie nicht qualifiziert waren. Es soll ein Millionenschaden entstanden sein.
Das Ministerium betont in der Begründung zum Referentenentwurf, dass die Bedeutung der außerklinischen Intensivpflege in der jüngeren Vergangenheit stark zugenommen hat. Bedingt durch den medizinischen Fortschritt und das hohe Versorgungsniveau werde „eine zunehmende Anzahl von Versicherten aus der Krankenhausbehandlung entlassen, die weiterhin einen intensivpflegerischen Versorgungsbedarf haben“, heißt es. Das BMG geht für das vergangene Jahr von rund 50.000 Fällen und von Kosten für die GKV in Höhe von rund 1,8 Milliarden Euro aus.
Erste Reaktionen
SPD-Fraktionschef Karl Lauterbach sagte dem RND, nach diversen Skandalen bestehe dringender Handlungsbedarf. „Es darf nicht sein, dass zu Lasten von Beatmungspatienten exorbitante Gewinne gemacht werden.“ Spahns Entwurf gehe daher in die richtige Richtung.
Der Sozialverband VdK begrüßte die Pläne Spahns. „Beatmungs-WGs sind derzeit Heime ohne Heimaufsicht. Niemand weiß, was dort hinter verschlossenen Türen passiert“, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele. „Intensivpflege gehört aber in professionelle Einrichtungen mit geprüfter Qualität. Denn Menschen, die einen sehr hohen Unterstützungsbedarf haben, brauchen die Gewissheit, dass sie in guten Händen sind und optimal versorgt werden.“
Von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) hieß es, die Vermeidung dauerhaft notwendiger Beatmung sei für die Krankenhäuser im Rahmen des medizinisch möglichen „ein Selbstverständnis“. Allerdings reichten die neu vorgesehenen, der akutstationären Behandlung nachlaufenden Entwöhnungsphasen in Krankenhäusern mit entsprechenden Zusatzentgelten nicht aus.
Die DKG forderte eine Klarstellung, dass Phasen zur Entwöhnung nie zur Minderung der Beatmungsvergütungen führen dürften. Die Anrechenbarkeit von beatmungsfreien Intervallen im Rahmen der Beatmungsentwöhnung (Weaning), ebenso wie schonende, nicht-invasive Beatmungsmethoden müssten sachgerecht vergütet werden, hieß es.
Zugang zur Reha soll einfacher werden
Neuerungen soll es auch bei der medizinischen Rehabilitation vor allem für ältere Menschen geben. Patienten, die sich nicht oder nur schlecht wehren könnten, bräuchten besondere Unterstützung, sagte Spahn dem RND. Deshalb wolle man dafür sorgen, dass medizinische Reha einfacher zugänglich werde und ältere Menschen so lange wie möglich ein selbstbestimmtes Leben führen könnten.
Konkret ist vorgesehen, dass der Zugang zu einer geriatrischen Rehabilitation nach vertragsärztlicher Verordnung ohne Überprüfung der medizinischen Erforderlichkeit durch die Krankenkasse erfolgen soll. „Voraussetzung ist die vorherige vertragsärztliche Überprüfung der geriatrischen Indikation durch geeignete Abschätzungsinstrumente“, heißt es im Entwurf. Die Krankenkasse könne nur aufgrund einer gutachterlichen Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung von der Verordnung abweichen.
Festgelegt wird auch, dass Leistungen der geriatrischen Rehabilitation in der Regel ambulant für 20 Behandlungstage oder stationär für drei Wochen erbracht werden sollen.
Zudem soll das Wahlrecht der Versicherten bei der Auswahl der Rehabilitationseinrichtung gestärkt werden. Wollen sie in eine andere Einrichtung als von der Krankenkasse vorgesehen, sollen die Mehrkosten nur noch zur Hälfte zu übernehmen sein - und nicht mehr vollständig wie bisher.
Um mehr Transparenz zu erreichen will das Ministerium regeln, dass Krankenkassen und Leistungserbringer Rahmenempfehlungen auf Bundesebene schließen, um einheitliche und verbindliche Vorgaben für Versorgungs- und Vergütungsverträge zu schaffen. Kann keine Einigung erzielt werden, soll eine Schiedsstelle entscheiden. © may/kna/dpa/aerzteblatt.de