USA: Gentherapie der spinalen Muskelatrophie soll 2,1 Millionen Dollar kosten

28.05.2019

USA: Gentherapie der spinalen Muskelatrophie soll 2,1 Millionen Dollar kosten

Montag, 27. Mai 2019

Silver Spring/Maryland  Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat eine Gentherapie zur Behandlung der spinalen Muskelatrophie vom Typ 1 zugelassen. Für Aufsehen in den Medien sorgte weniger die Möglichkeit der Behandlung, die die FDA als „transformativ“ einstuft, als das voraussichtliche Preisschild. Die einmalige Behandlung soll 2,1 Millionen US-Dollar kosten, zu zahlen in bis zu 5 Raten.

Der Typ 1 (Werdnig-Hoffmann) ist die schwerste von 4 klinischen Formen der spinalen Muskelatrophie. Die Kinder entwickeln bereits in den ersten 4 Monaten eine Muskelschwäche, die rasch fortschreitet. Die Kinder können nicht ohne Unterstützung sitzen und müssen schon bald beatmet werden. Unbehandelt sterben die meisten vor dem zweiten Lebensjahr.

Ursache der autosomal-rezessiven Erkrankung sind Defekte in beiden Allelen des SMN1-Gens auf dem Chromosom 5. Das SMN1-Gen enthält die Information für das SMN-Protein („survival motor neuron“), das für das Überleben des zweiten Motoneurons essentiell ist. Der klinische Schweregrad der spinalen Muskelatrophie hängt von der Kopienzahl des Schwestergens SMN2 ab. Es enthält ebenfalls die Information für das SMN-Protein, allerdings (infolge eines Splicingfehlers) in einer verkürzten Version. Kinder mit der spinalen Muskelatrophie vom Typ 1 haben in der Regel nicht mehr als 2 SMN2-Kopien.

Seit 2 Jahren gibt es eine effektive Therapie der spinalen Muskelatrophie. Sie besteht in der regelmäßigen intrathekalen Injektion des Antisense-Oligonukleotids Nusinersen, das den Splicingfehler umgeht und dadurch die Produktion des SMN-Proteins steigert. Die regelmäßigen Infusionen in den Liquorraum sind kompliziert und komplikationsträchtig. Hinzu kommt, dass die Behandlung vermutlich lebenslang wiederholt werden muss.

Die Gentherapie, die die US-Firma AveXis aus Chicago entwickelt hat, kommt vermutlich mit einer einzigen intravenösen Infusion aus. Infundiert wird ein adenoassoziiertes Virus, das die Blut-Hirn-Schranke überwindet und eine intakte Version des SMN-Gens in den Motoneuronen ablegt (Infiziert werden auch andere Zellen des Körpers, was möglicherweise Auswirkungen des Gendefekts auf andere Körperfunktionen verhindert).

Die Zulassung beruht auf den Ergebnissen der (bereits abgeschlossenen) Dosis­findungs­­studie START und der laufenden offenen klinischen Studie STR1VE. In der STR1VE-Studie wurden an 15 US-Zentren bisher 21 Patienten behandelt. Die Behandlung erfolgte im Alter zwischen 0,5 und 5,9 Monaten. Keines der Kinder musste zu diesem Zeitpunkt beatmet werden, alle konnten noch normal gefüttert werden.

Laut Auskunft des Herstellers waren zum Stichtag im März 2019 noch 19 Kinder am Leben, ohne dass sie dauerhaft beatmet werden mussten. Ein Kind starb im Alter von 7,8 Monaten an der Erkrankung. Ein Kind schied im Alter von 11,9 Monaten aus der Studie aus. Die 19 überlebenden Patienten sind inzwischen 9,4 und 18,5 Monate alt. Darunter waren 13 Kinder, bei denen im Alter von 14 Monaten keine Notwendigkeit zur mechanischen Beatmung bestand (was beim natürlichen Verlauf der Erkrankung nur bei etwa jedem vierten Kind der Fall ist). Zehn der 21 Kinder (47,6 %) konnten im Alter zwischen 9,2 und 16,9 Monaten länger als 30 Sekunden lang ohne Unterstützung sitzen (was beim natürlichen Verlauf der Erkrankung so gut wie niemals erreicht wird). Hinzu kommt, dass 16 der 19 Patienten ohne Maskenbeatmung auskommen.

Die Teilnehmer der vorangegangenen START-Studie sind inzwischen älter. Nach 24 Monaten musste eines der 3 Kinder, die die niedrige Dosierung erhalten hatten, mechanisch beatmet werden. Von den 12 Kindern der Hochdosis-Kohorte musste bisher kein Kind permanent beatmet werden. Keines der Kinder der Niedrigdosis-Kohorte kann ohne Unterstützung sitzen, stehen oder gehen. In der Hochdosis-Kohorte können 9 von 12 Kindern länger als 30 Sekunden ohne Unterstützung sitzen und 2 Kinder mittlerweile ohne Unterstützung stehen und gehen.

Weil die meisten Kinder ohne Therapie vermutlich nicht mehr am Leben wären, sind dies exzellente Ergebnisse, die sich allerdings auch in einem hohen Preis niederschlagen. Laut Presseberichten soll die Behandlung in den USA 2,1 Millionen Dollar kosten (für eine einzige intravenöse Infusion). Damit wird Zolgensma, so der Präparatename, die mit Abstand teuerste Behandlung bisher. Der Preis für die Patienten in Europa steht noch nicht fest. Der Hersteller hat die Zulassung bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) beantragt. Mit einer Entscheidung wird noch in diesem Jahr gerechnet.

Luxturna, die Gentherapie der frühkindlichen Netzhautdystrophie aufgrund von Mutationen im RPE65-Gen, kostet in den USA 850.000 US-Dollar. Für die CAR-T-Zelltherapie Kymriah werden 475.000 US-Dollar in Rechnung gestellt. Während sich die Kosten bei der CAR-T-Zelltherapie durch die aufwändige Herstellung rechtfertigen lassen, dürfte dies bei Zolgensma kaum der Fall sein.

Der Preis orientiert sich an den Behandlungskosten von Nusinersen (Spinraza), die sich im ersten Jahr auf 750.000 US-Dollar belaufen, es folgen 375.000 in den Folgejahren. In der Wirtschaftspresse war deshalb spekuliert worden, dass Zolgensma 4 Millionen US-Dollar kosten werde. Die Gewinnerwartungen hatten den Preis für die Lizenz in die Höhe getrieben. Novartis hat laut Wirtschaftspresse im vergangenen Jahr 8,7 Milliarden US-Dollar für die Übernahme von AveXis gezahlt.

Ob sich die Gewinnerwartungen erfüllen, wird davon abhängen, ob sich Käufer finden. Für die Gentherapie der Lipoprotein-Lipase-Defizienz mit Glybera soll sich in den ersten 4 Jahren nach der Zulassung nur eine Patientin gefunden haben, die die eine Million US-Dollar für die Behandlung bezahlt hat. Für Strimvelis, das 2016 in Italien zur Behandlung der Immunkrankheit ADA-SCID eingeführt wurde, sollen es in den ersten beiden Jahren nur 2 Patienten gewesen sein. © rme/aerzteblatt.de