Systemische Sklerose: Nintedanib verlangsamt Verschlechterung der Lungenfunktion

23.05.2019

Zürich – Der Tyrosinkinase-Inhibitor Nintedanib, der unter anderem den Fibroblasten-Wachstumsfaktor blockiert, hat in einer randomisierten Studie bei Patienten mit systemischer Sklerose den Rückgang der forcierten exspiratorischen Vitalkapazität verlangsamt, die die Prognose der Patienten bestimmt. Nach den im New England Journal of Medicine (2019; doi: 10.1056/NEJMoa1903076) vorgestellten Ergebnissen könnte Nintedanib das erste krankheitsmodifizierende Medikament sein.

Die systemische Sklerose oder Sklerodermie gehört zu den seltenen Autoimmun­erkrankungen. In Deutschland soll es etwa 4.000 Patienten geben. Die Erkrankung ist durch eine Überproduktion von Kollagen gekennzeichnet, die zu einer Fibrosierung in der Haut, in den Wänden der Blutgefäße und im Parenchym von Organen führt. Die Prognose wird von einer zunehmenden Lungenfibrose bestimmt, an deren Folge etwa 70 % der Patienten sterben. Die Behandlung erfolgt derzeit meist mit den Immunsuppressiva Mycophenolat und Cyclophosphamid, die das Fortschreiten der Lungenfibrose jedoch nicht nachweisbar aufhalten.Eine neue Option könnte sich durch den Multikinase-Inhibitor Nintedanib ergeben, der die Signalweiterleitung an den Rezeptoren mehrerer Wachstumsfaktor blockiert. Wegen der Hemmung der endothelialen Wachstumsfaktor-Rezeptoren (VEGFR 1 bis 3) ist Nintedanib bei Krebserkrankungen wirksam. Die erste Indikation war 2015 das nicht kleinzellige Lungenkarzinom. Die Hemmung der Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptoren (FGFR 1 bis 3) ist vermutlich für die Wirkung bei der interstitiellen Lungenfibrose verantwortlich, die durch die Studien INPULSIS-1 und -2 belegt werden konnte.

Auch wenn es Unterschiede in der Pathogenese gibt, lag es aufgrund der ähnlichen histologischen Veränderungen nahe, die Wirkung von Nintedanib auch bei der systemischen Sklerose zu untersuchen. An der SENSCIS-Studie („Safety and Efficacy of Nintedanib in Systemic Sclerosis“) nahmen an 195 Zentren in 32 Ländern 576 Patienten teil, deren erstes Nicht-Raynaud-Symptom median 3,4 Jahre zurücklag. Im CT waren 37 % der Lunge von der Fibrose betroffen, die forcierte exspiratorische Vitalkapazität (FVC) war median auf 72 % gefallen.

Die Patienten wurden über 52 Wochen auf eine Behandlung mit Nintedanib in der Dosis von 150 mg 2-mal täglich oder Placebo randomisiert. Primärer Endpunkt war der weitere Abfall der FVC.

Wie das Team um Oliver Distler vom Universitätsspital Zürich jetzt berichtet, verschlech­ter­te sich die FVC in der Placebogruppe um median 93,3 ml pro Jahr gegenüber einem Rückgang von nur 52,4 ml pro Jahr in der Nintedanibgruppe. Die Differenz von 41,0 ml war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 2,9 bis 79,0 signifikant. Ein Unterschied zwischen den beiden Gruppen zeigte sich nach 12 Wochen und nahm im Verlauf der Zeit weiter zu.

Es ist deshalb zu hoffen, dass der markant verminderte Abbau der Lungenfunktion sich langfristig günstig auf den Verlauf der Erkrankung auswirkt. Nach 52 Wochen waren zwar noch keine signifikanten Unterschiede im modifizierten Rodnan-Haut-Score und im St. George’s Respiratory Questionnaire nachweisbar. Wegen der zentralen Bedeutung der FVC sollte sich mit der Zeit ein klinischer Vorteil der Behandlung ergeben. Vor dem Hintergrund, dass es bisher keine nachgewiesenermassen wirksame Therapie der systemischen Sklerose gebe, seien die Ergebnisse der Studie schon jetzt ein Meilenstein und für die betroffenen Patienten von grosser Bedeutung, meint Distler.

Die häufigste Nebenwirkung der Behandlung war eine Diarrhö, die bei 75,7 % der Patienten auftrat (gegenüber 31,6 in der Placebogruppe). Übelkeit und Erbrechen waren ebenfalls häufiger als in der Placebogruppe. Insgesamt 16,0 (versus 8,7 in der Placebogruppe) brachen die Therapie wegen der Nebenwirkungen vorzeitig ab. Der Hersteller hat aufgrund der Studienergebnisse bei der US-Arzneimittelbehörde FDA und der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA eine Erweiterung der Zulassung beantragt. © rme/aerzteblatt.de