Die Charcot-Marie-Tooth-(CMT-)Erkrankung ist die häufigste erbliche Erkrankung des peripheren Nervensystems und betrifft mehr als 2 Millionen Menschen weltweit. Mit einer Häufigkeit von 1:2.500 gilt C
Medizin
Nahrungsergänzungsmittel könnte bei Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung helfen
Dienstag, 14. August 2018
Göttingen – Mit dem Nahrungsergänzungsmittel Lecithin könnten Ärzte die bisher unheilbare Charcot-Marie-Tooth-(CMT-)Erkrankung behandeln. Das zeigt eine Studie mit Ratten, die Forscher des Max-Planck-Instituts für Experimentelle Medizin (MPI-EM) Göttingen und der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) in Nature Communications publiziert haben (2018; doi: 10.1038/s41467-018-05420-0).
Die Charcot-Marie-Tooth-(CMT-)Erkrankung ist die häufigste erbliche Erkrankung des peripheren Nervensystems und betrifft mehr als 2 Millionen Menschen weltweit. Mit einer Häufigkeit von 1:2.500 gilt CMT als seltene Erkrankung. In Deutschland sind mindestens 30.000 Menschen betroffen.
Im Tierversuch stellte sich heraus, dass erkrankte Schwannzellen, die Axone umhüllen, während der Entwicklung wegen eines gestörten Fettstoffwechsels nicht ausreichend Myelin bilden. „Bei einer Störung wie der Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung bleiben viele Nervenfasern ohne Myelin, und sind damit in ihrer Funktion beeinträchtigt“, erklärt der Erstautor der Studie, Robert Fledrich, Institut für Anatomie der Universität Leipzig und Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin.
Schwannzellen nutzen Phospholipide für Myelinbildung
Mit Lecithin ließe sich womöglich die beeinträchtigte Fettproduktion der Schwannzellen umgehen und damit die Myelinisierung verbessern, denn es ist ein Hauptbestandteil des Myelins. Das Fettmolekül ist ein aus Soja oder Eigelb gewonnener Mix aus Phospholipiden. In der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Netzwerkverbundes „CMT-NET“ geförderten Studie konnten die Wissenschaftler um Fledrich zunächst in Zellkulturexperimenten sowie in genetisch veränderten Ratten zeigen, dass Schwannzellen Phospholipide aufnehmen und für die Myelinproduktion nutzen.
Durch mehrere Therapiestudien von erkrankten Ratten mit Lecithin in unterschiedlichen Dosen und Behandlungszeiträumen haben die Forscher nicht nur herausgefunden, dass eine Phospholipid-Therapie die Myelinisierung fördert. „Sie lindert auch den Krankheitsverlauf, und zwar unabhängig vom Behandlungsbeginn“, sagt Ruth Stassart von der Universität Leipzig und Co-Leiterin der Studie.
„Die vielversprechenden Daten aus den Tierversuchen und insbesondere die bereits erwiesene gute Verträglichkeit in Menschen prädestinieren Lecithin als Therapeutikum für die CMT-Erkrankung und möglicherweise auch andere demyelinisierende Erkrankungen“, ergänzt Seniorautor Michael Sereda von der UMG. Die beteiligten Neurowissenschaftler arbeiten nun daran, die neu gewonnenen Erkenntnisse für Patienten im Rahmen von klinischen Studien nutzbar zu machen.
Aufgrund eines Gendefektes, der Verdopplung des Gens für PMP22, entwickeln CMT-Patienten eine langsam fortschreitende Nervenschädigung (CMT1A). Die ersten Symptome wie Gehschwierigkeiten oder Fußdeformitäten können bereits im Kindesalter auftreten. Später kommt es zu Sensibilitätsstörungen wie Taubheit, Kribbeln und Schmerzen und es schwindet zunehmend die Kraft in Beinen und Armen. In seltenen Fällen sind Patienten an den Rollstuhl gefesselt. Bisher ist die CMT-Erkrankung nicht heilbar, da die grundlegenden Erkrankungsmechanismen unbekannt sind. © gie/idw/aerzteblatt.de